Bei extremer Hitze 200 Kilometer durch das Death Valley: ein Schweizer Läufer findet in der Wüste seinen Frieden

15. Okt 2025by Marco Giuoco

NZZ, Eva Breitenstein: Publiziert am 17.07.2024

Der Fricktaler Marco Giuoco startet beim legendären Ultramarathon in Kalifornien. Seine Vorbereitung auf den Badwater 135: Er joggt jeden Morgen eine Stunde mit seiner Hündin.

 

Am Vorabend seiner Hirnoperation im Jahr 2008 schrieb Marco Giuoco sein Testament. Sollte er den Eingriff überleben, versprach er sich dabei, laufe er irgendwann den Badwater 135. Giuoco hatte einen Hirntumor in der Grösse von zwei Eiern und war noch nicht einmal Hobby-Jogger, sondern im Kampfsport zu Hause.

Ein Freund hatte ihm vom «härtesten Lauf der Welt» erzählt, wie der Veranstalter das Rennen gerne bewirbt. Das blieb bei Giuoco hängen, der oft über die Komfortzone nachdachte, die das Leben in der Schweiz bietet. Darüber, dass wir kaum wissen, wie es ist, «substanziell um etwas kämpfen zu müssen».

Am Abend des 22. Juli steht Giuoco nun an der Startlinie des Badwater 135, im Death Valley in Kalifornien, ein paar Meter unterhalb des Meeresspiegels. Die Läuferinnen und Läufer legen 135 Meilen (217 km) zurück, dazu 4450 Höhenmeter. Das Zeitlimit für die Strapaze liegt bei 48 Stunden. Nur 100 von allen qualifizierten Bewerbern werden pro Jahr eingeladen, die Finisher-Quote lag im vergangenen Jahrzehnt bei 82 Prozent.

Das Death Valley gilt als heissester Ort der Welt. Zurzeit erlebt es eine Hitzewelle: rund 35 Grad Lufttemperatur in der Nacht, 50 Grad am Tag. Die Strecke führt entlang eines Highways; 30 Zentimeter über dem Asphalt können Temperaturen von 70 Grad Celsius herrschen.

Das Death Valley gilt als heissester Ort der Welt, zurzeit erlebt es eine Hitzewelle: rund 35 Grad Lufttemperatur in der Nacht, 50 Grad am Tag.

Marco Giuoco liebt die Hitze. Er liebt die Wüste. Die Kombination aus extremer körperlicher Belastung und unwirtlicher Gegend löst bei ihm Glücksgefühle aus. Mehr als 45 Grad hat der Fricktaler bei seinen bisherigen Ultraläufen allerdings noch nicht erlebt. In den Wochen vor dem Badwater stellte er zu Hause einen Hometrainer in die Sauna und fuhr zwei- oder dreimal pro Woche eine Stunde lang bei 80 Grad. Ob das dem Körper hilft, sich besser auf die Hitze einzustellen, ist umstritten. «Aber wenn ich bei 50 Grad in der Wüste weiss, dass ich schon 80 ausgehalten habe, nützt das vielleicht», sagt der 59-Jährige.

Sonst hilft nur eines: Erfahrung. Wer sich für den Badwater bewirbt, hat eine lange Liste an Anforderungen erfüllt, kann etwa genügend Rennkilometer in der Hitze nachweisen. Giuoco hatte seinen Palmarès im vergangenen Jahr so weit, er rannte schon durch Wüsten in Mauretanien, Marokko, Jordanien oder Südafrika. Im Jahr nach der Hirnoperation, wieder genesen, begann der Ökonom mit dem Joggen. Eine halbe Stunde, dann eine Stunde.

«Wenn ich jetzt sterben muss, ist es gut so»

Als er 50 wurde, forderten ihn seine vier Söhne auf, doch einen Marathon zu laufen. Das klang Giuoco zu sehr nach dem klassischen Midlife-Crisis-Programm. Er stiess auf die Bieler Lauftage mit ihrem 100-Kilometer-Lauf. Das Debüt 2016 gelang gut, Giuoco wollte mehr. Er liess sich von dem Laufcoach Dan Übersax Trainingspläne schreiben, was bis heute so geblieben ist. Verletzt war er noch nie.

Heute sieht sein Trainingsprogramm so aus: Morgens vor der Arbeit läuft er eine Stunde mit seiner Malinois-Hündin Uma. Am Samstag absolviert er drinnen eine Einheit auf der Rudermaschine, am Sonntag folgt ein Dauerlauf zwischen zwei und vier Stunden. Im Schnitt kommt er auf 60 Kilometer pro Woche, es können auch einmal 110 Kilometer sein, selten mehr.

Ein einziges Rennen hat er aufgegeben, den Engadin Ultra Trail. Bergläufe liegen ihm nicht, er bevorzugt die Monotonie, einen gewissen Flow. In Mauretanien sah er stundenlang nur Sanddünen, in alle Richtungen. «Da bist du eins mit dem Universum», sagt Giuoco. «In diesem Moment sagst du: Wenn ich jetzt sterben muss, ist es gut so. Du hast deinen Frieden mit allem geschlossen.»

Im Februar 2024 wollte er die 330-Kilometer-Version des Tankwa Crossing in Südafrika absolvieren; die kürzere, 207 Kilometer lange Strecke hatte er im Jahr davor geschafft. Doch das Rennen wurde mangels Teilnehmern abgesagt. Giuoco beschloss, ein Soloprojekt daraus zu machen. Neben Regen und Hagel erlebte er mit 45 Grad auch die bisher grösste Hitze an einem Rennen. Die Hände verbrannten, weil sich die Sonnencrème ständig ablöste, wenn er das Eis zum Abkühlen hielt. Seine Helfer, unter ihnen seine Frau, zerschnitten schliesslich ein Stück Tuch und wickelten es ihm um die Hände. Zum ersten Mal hatte er Angst, zu kollabieren.

Technische Hilfsmittel wie Kühlwesten sind nicht erlaubt

Die Hitze wird auch am Badwater 135 die grösste Herausforderung sein. Technische Hilfsmittel wie Kühlwesten sind nicht erlaubt. Die Läuferinnen und Läufer werden eine möglichst grosse Körperfläche mit Tüchern bedecken, die in Eiswasser getaucht wurden, um eine Überhitzung oder einen Hitzschlag zu vermeiden. Eine Dehydrierung hingegen muss Giuoco in Kauf nehmen – so viel Flüssigkeit, wie er verliert, kann er nicht aufnehmen. Der Plan ist, alle 20 Minuten etwa 250 Milliliter zu trinken. Bei der angestrebten Renndauer von 44 Stunden sind das über 30 Liter.

Giuocos Körper rebelliert in den ersten Stunden von Wüsten-Ultraläufen jeweils. Wenn nach 30, 40 Kilometern die Krämpfe kommen, muss er erbrechen. Das sei ein Test seines Körpers, der frage: «Meinst du es ernst mit dem, was wir hier machen?» Bewegt er sich weiter, fühlt er sich eine Stunde später meistens gut. Beim Soloprojekt in Südafrika jedoch dauerte es 18 Stunden, bis der Körper diesen Punkt erreichte.

Treue Begleiter sind zudem Halluzinationen. Beduinen, die im Gestrüpp am Wegrand etwas essen. Gartenmöbel in der Wüste. Vögel, die die Laufstöcke eines Rennkollegen attackieren.

Manchmal aber sieht Giuoco bei all der flimmernden Hitze sehr klar. Wie im vergangenen September bei einem 100-Meilen-Lauf in Miami, als er sich entschloss, sich Ende 2024 frühpensionieren zu lassen. «Du kommst aus jedem Ultralauf als neue Version von dir heraus», sagt Giuoco, «als hättest du nach den extremen Hochs und Tiefs des Rennens ein zusätzliches Leben gehabt.» Er ist gespannt, welche Fragen der Badwater-Marathon für ihn bereithalten wird.

Nächstes Jahr rennt er von seinem Wohnort Zeiningen zu seinem Heimatort Giardini-Naxos auf Sizilien. Den Lauf möchte er «in der schönen Bar auf der Piazza bei einer Kaffee-Granita mit etwas Rahm» beenden.

 


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